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Deeskalation von IT-Konflikten

Deeskalation von IT-Konflikten/Teil 1

Arbeitsüberlastete Gerichte, hohe prozessuale Anforderungen der Darlegungslast, Zeitfaktor und Insolvenzrisiko. Warum Streitigkeiten im IT-Bereich möglichst außergerichtlich gelöst werden sollten, erklärt Rechtsanwältin Dr. Ina Becker im ersten Teil des Beitrags.

Konflikte kaum vermeidbar

Wohl kaum ein IT-Freiberufler bleibt im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit davon verschont:

  • Im Rahmen eines Projektvertrags kommt es zum Streit über Vergütungsfragen, über die Abnahme oder Nachbesserung des Werks, über urheberrechtliche Fragen etc.

Was viele Freiberufler unterschätzen:

  • Eine gerichtliche Klärung in erster Instanz kann derzeit wegen chronischer Arbeitsüberlastung der Gerichte bis zu eineinhalb Jahren dauern. Wird das Verfahren über mehrere Instanzen geführt, können gleich mehrere Jahre verstreichen.

Ein Zivilprozess stellt die letzte Stufe eines eskalierten Konflikts dar und ist in jeder Hinsicht ein wahrer Kraftakt für den Freiberufler. Dieser geht zudem ein hohes Kosten- und Vollstreckungsrisiko ein.

Ablauf eines Zivilprozesses

In der Regel findet in Zivilsachen ein schriftliches Vorverfahren statt, in dem die Parteien Schriftsätze wechseln. Für den Freiberufler bedeutet dies, dass er seinen Rechtsbeistand kontinuierlich über Monate hinweg mit den notwendigen Sachverhaltsinformationen versorgen muss. Diese bereitet sein Anwalt rechtlich auf. Geht es z. B. um den Nachweis geleisteter Tätigkeitsstunden, sind die Anforderungen an eine schlüssige Darlegung und konkrete Beweisangebote immens hoch. Es ist schriftlich vorzutragen, wer, was, wann, warum und in wessen Auftrag geleistet hat. Dies erfordert eine äußerst präzise Dokumentation des Projektauftrags im Vorfeld. Eine reine Bezugnahme auf Stundenaufzeichnungen im Excel-Format ist nicht zu empfehlen, da eine solche grundsätzlich unzulässig im zivilprozessualen Sinn ist.

Wegen der Vielzahl zu beachtender Anforderungen im Verfahren sollte sich der IT-Freiberufler stets anwaltlich vertreten lassen. Zwar gilt der sogenannte Postulationszwang erst ab der Ebene der Landgerichte und nicht für amtsgerichtliche Verfahren. Für den juristisch ungeschulten Betroffenen eines Streits ist es jedoch erfahrungsgemäß schwierig, notwendige Distanz zu wahren und sich auf die wesentlichen Argumente zu konzentrieren. Gegen eine eigenständige Interessensvertretung als Naturalpartei spricht auch das entstehende Verhandlungsungleichgewicht zum regelmäßig anwaltlich vertretenen früheren Auftraggeber.

Zwangsvergleich und Zwangsvollstreckung

Statistisch gesehen enden viele Zivilverfahren in einem gerichtlichen Vergleich der Prozessparteien: Dies hängt nicht zuletzt mit der akuten Arbeitsüberlastung der Amts- und Landgerichte und einer zunehmend komplexeren Arbeitswelt zusammen. Da teilweise eine reine Materialschlacht mit inhaltlich ausufernden Schriftsätzen geführt wird, schaffen es die zuständigen Richter nur schwerlich, den streitgegenständlichen Sachverhalt bis ins letzte Detail zu durchdringen.

Um eine ausführliche Urteilsbegründung zu umgehen, schlägt das Gericht häufig mit Hinweis auf das für beide Parteien hohe Kostenrisiko einen faktisch zwingenden Vergleich vor. Es kann passieren, dass die Quote des Obsiegens und Unterliegens z. B. auf 60% zu 40% nach richterlich freiem Ermessen geschätzt wird.

Die Richter fordern die Parteien im Gütetermin freundlich dazu auf, sie sollten sich dringlich vergleichen, was diejenige Partei mit der antizipierten Quote von 40% wohl tendenziell tun wird.

Lehnt der IT-Experte jeglichen Vergleich ab, und schafft er es neben seiner alltäglichen Projektarbeit, erfolgreich einen zeit- und kostenintensiven Titel über seine Geldforderung zu erstreiten, scheitert er nicht selten in der Zwangsvollstreckung.

Die beklagte Firma ist möglicherweise inzwischen insolvent und/oder nach standesgemäßer Beerdigung nicht mehr existent. Der Freiberufler hat dann, wie es so schön heißt, sein gutes Geld dem schlechten nachgeworfen. Er sollte vor dem Hintergrund eines derart unwägbaren Ausgangs eines Gerichtsverfahrens unbedingt anstreben, den IT-Konflikt mit professioneller Hilfe frühzeitig außergerichtlich zu klären.

Lesen Sie im zweiten Teil des Beitrags in der nächsten Ausgabe 4/2012, welche wissenswerten Aspekte der Eskalationsdynamik und Konfliktlösungstechniken es gibt.

Deeskalation von IT-Konflikten/Teil 2

Im ersten Teil des Beitrags in Ausgabe 3/2012 wurden Besonderheiten und Anforderungen eines Zivilprozesses als ultimativer Eskalationsstufe beleuchtet. Im zweiten Teil geht es um Grundlagen zur Konfliktdiagnose und Eskalationsdynamik. Von Rechtsanwältin Dr. Ina Becker.

Verschiedene Stufen der Eskalation

In vielen Fällen beruht der Konflikt auf Kommunikationsproblemen. Der Freiberufler sollte sich daher zunächst fragen, ob eventuell reine Missverständnisse aufgrund suboptimaler Verständigung der Beteiligten vorliegen. Derartige Unstimmigkeiten können idealerweise durch klärende Gespräche mit dem Auftraggeber bereinigt werden.
Stellt der Betroffene im frühen Stadium des Streits fest, dass er sich persönlich zu sehr involviert fühlt, kann es für ihn hilfreich sein, eine objektiv-neutrale Distanz zu konsultieren. So sieht ein nicht direkt beteiligter Kollege, Freund, Mediator oder Anwalt möglicherweise Aspekte, die dem Streitenden nicht aufgefallen waren. Der IT-Experte kann die Gespräche sodann mit mehr Abstand und weniger Betroffenheit weiterführen.

Im Sinne des Prinzips lebenslangen Lernens und der Optimierung persönlicher Fähigkeiten ist es für ihn erstrebenswert, sich mit Strategien wie der von Marshall B. Rosenberg begründeten, sogenannten gewaltfreien Kommunikation oder anderen Konfliktlösungstechniken zu befassen. Diese ermöglichen in der Regel eine bessere Selbstreflektion und einen effizienteren Umgang mit Krisensituationen.

Eskalationsmechanismen

Führt eine sachlich-konstruktive Kommunikation nicht weiter, hilft es, mit den theoretischen Basismechanismen der Eskalation vertraut zu sein.

Der IT-Experte sollte sich zunächst verdeutlichen, dass jeder Konflikt neben der fachlichen auch eine persönliche, juristische und wirtschaftliche Dimension hat. Konflikte eskalieren vor allem dann, wenn beide Konfliktparteien zu wenig Abstand zum persönlichen Aspekt einnehmen können. Hinzu kommen oft Unsicherheiten aufgrund schlichter Unkenntnis der rechtlichen Prämissen und Reaktionsmöglichkeiten im Einzelfall. Je mehr Wissen der Streitbetroffene hat, umso mehr wird ihm die die Angst vor möglichen Konsequenzen einer Rechtsstreitigkeit genommen. Er sollte sich also frühzeitig rechtlich beraten lassen, um sachlich und souverän verhandeln zu können.

Projektion, Komplexitätsreduktion, Beschleunigung durch Bremsen

Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen der Soziologie gibt es bestimmte Faktoren, die den Eskalationsprozess stufenweise vorantreiben:
Aufgrund im Streit zunehmender Selbstfrustration neigen beide Streitparteien dazu, negative Gesichtspunkte auf den jeweils anderen zu projizieren. Dabei verstärken unbeherrschte Aktionen ein gefühltes Unbehagen. Als Folge hiervon werden die strittigen Themen oft beidseitig ausgeweitet bei gleichzeitiger Komplexitätsreduktion. Da die Streitenden im Laufe des Konflikts tendenziell immer unbewusster werden, führt persönliche Überforderung zu einem weiteren Anstieg der ausgelebten Aggressivität. Es kommt zu Fehlinterpretationen, einer immensen Stresssteigerung, immer neuen Drohstrategien, selbsterfüllenden Prophezeiungen, Respektlosigkeiten etc.

Schließlich droht die Gefahr, dass der Streit auch in seiner sozialen Dimension immer weiter ausgedehnt wird: Beide Seiten suchen und finden Unterstützer für die eigene Position; der Konflikt wird zunehmend personalisiert. In der Hoffnung, der Kontrahent möge endlich nachgeben, erhöht eine Streitpartei ihr Drohpotential. Statt der gewünschten Abbremsung des Streits wird jedoch genau das Gegenteil, nämlich die totale Konfrontation erreicht.
Streben beide Seiten sinnbildlich nur noch danach, den Gegner um jeden Preis in den Abgrund zu drängen, ist der eigene Untergang sozusagen vorprogrammiert (ein chinesisches Sprichwort besagt, dass derjenige der auf Rache aus ist, gleich zwei Gräber graben möge).

Fazit

Ein positiver Interessensausgleich für beide Seiten kann optimal dann erfolgen, wenn sich die Beteiligten so frühzeitig wie möglich einigen. Es ist erfahrungsgemäß nicht auszuschließen, an äußerst unangenehme Kontrahenten zu geraten, die ggf. im Rahmen eines bestehenden Machtungleichgewichts schlicht handfeste wirtschaftliche Interessen durchsetzen wollen. Der betroffene IT-Freiberufler sollte sich daher professionell beraten und unterstützen lassen.